Zugewinnausgleich bei deutschem Güterrechtsstatut und iranischem Erbstatut

OLG München, Beschluss vom 16.04.2012 – 31 Wx 45/12

Tenor
I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des Amtsgerichts München – Nachlassgericht – vom 12. Dezember 2011 aufgehoben.
II. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 17.600 € festgesetzt.
III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Der kinderlose Erblasser ist im März 2010 in München verstorben. Er war iranischer Staatsangehöriger schiitischer Religionszugehörigkeit und lebte seit 1967 in Deutschland. Die Beteiligte zu 1 ist seine Ehefrau. Sie ist seit Geburt deutsche Staatsangehörige. Seit der Eheschließung, die 1978 in Tönder/Dänemark erfolgte, lebten die Ehegatten in München. Einen Ehevertrag haben sie nicht geschlossen. Die Beteiligte zu 1 ist wie der Erblasser Muslimin. Die Beteiligten zu 2 bis 8 sind die Brüder und Schwestern des Erblassers; seine Eltern sind vorverstorben. Der Beteiligte zu 2 wohnt in Deutschland, die Beteiligten zu 3-8 leben im Iran.
Der Nachlass besteht aus Guthaben bei deutschen Banken in Höhe von rund 42.000 € und der Abfindung für die Anteile des Erblassers an einer GmbH mit Sitz in München. Der Reinnachlasswert beträgt rund 70.500 €. Unbewegliches Vermögen ist nicht vorhanden; im Iran hatte der Erblasser kein Vermögen.
Es liegt ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament vom 27.11.1996 vor, das von der Ehefrau geschrieben und von beiden Ehegatten unterschrieben wurde. Darin setzen sich beide gegenseitig als Alleinerben ein. Das Testament wurde von beiden Ehegatten gemeinsam beim Nachlassgericht in besondere amtliche Verwahrung gegeben.
Die Beteiligte zu 1 hat zunächst beantragt, ihr einen Alleinerbschein aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments zu erteilen. Mit Schriftsatz vom 26.8.2010 hat sie den Antrag dahin abgeändert, dass sie Miterbin zu 3/4 sei und das restliche Viertel unter die Geschwister des Erblassers nach islamischem Recht aufzuteilen sei. Die Beteiligten zu 2 bis 8 haben die Erbschaft angenommen. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 12.12.2011 den Antrag der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen mit der Begründung, diese sei Miterbin nur zu 1/2 neben den Geschwistern des Erblassers geworden. Anzuwenden sei iranisches Recht, nach dem nicht wirksam testamentarisch verfügt werden könne. Es sei gesetzliche Erbfolge eingetreten; die Erbquote der Ehefrau betrage 1/4. Diese erhöhe sich nach § 1371 Abs. 1 BGB um 1/4, da deutsches Güterrecht anwendbar sei. Damit belaufe sich die Erbquote der Beteiligten zu 1 auf 1/2, was der Erbquote entspreche, die dem Erblasser beim Tod seiner Ehefrau nach iranischem Recht zugestanden hätte. Eine nochmalige Erhöhung der Erbquote aufgrund des ordre public sei nicht angezeigt.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1, die darauf verweist, dass die gleichheitswidrige Erbquote nach iranischem Recht nicht durch den pauschalierten Zugewinnausgleich nach deutschem Güterrecht ausgeglichen werde, der dem Ehemann zusätzlich zu seiner nach iranischem Erbrecht doppelt so hohen Erbquote ebenfalls zugestanden hätte.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1. Maßgeblich für die Erbfolge ist das iranische Recht, da der Erblasser ausschließlich iranischer Staatsangehöriger war (Art. 3 Nr. 2 EGBGB i. V. m. Art. 8 Abs. 3 des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens).
Nach dem iranischen Recht ist eine Erbeinsetzung durch Testament nicht möglich; der Erblasser kann nur im Wege des Vermächtnisses über höchstens 1/3 des Nachlasses testamentarisch verfügen. Die Erbfolge wird deshalb allein durch die Vorschriften des iranischen Zivilgesetzbuches bestimmt (im Folgenden zitiert nach Yassari in: Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann, Internationales Erbrecht, Länderteil Iran, Bearbeitungsstand 1.1.2002; zu Art. 946 ZGB in der Fassung vom 11.3.2009 vgl. Yassari RabelsZ 2009, S. 985/998; Krüger IPrax 2009, 375). Hat der Erblasser – wie hier – keine Kinder hinterlassen, erbt die Witwe ein Viertel des beweglichen Vermögens und ein Viertel vom Wert des unbeweglichen Vermögens (Art. 913 Satz 2, Art. 900 Nr. 2 ZGB, Art. 946 ZGB i.d.F. v. 11.3.2009). Der Ehemann erbt im gleichen Fall von allen Gütern der Ehefrau die Hälfte (Art. 913 Satz 2, Art. 899 Nr. 1, 946 ZGB).
Die Beteiligte zu 1 erbt folglich nach den Vorschriften des iranischen Rechts ein Viertel des Nachlasses. Dem deutschen Ehemann einer kinderlosen iranischen Ehefrau stünde hingegen die Hälfte des Nachlasses zu.
2. Das iranische Recht bleibt allerdings nach Art. 6 EGBGB insoweit unangewendet, als es der Beteiligten zu 1 nur die Hälfte dessen zuspricht, was bei sonst gleichem Sachverhalt ein Mann beanspruchen könnte, denn dieses Ergebnis der Anwendung iranischen Erbrechts auf den hier zu entscheidenden Fall ist mit dem im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht vereinbar.
a) Nach Art. 6 EGBGB ist die Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere dann nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Art. 8 Abs. 3 des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens schließt einen Rückgriff auf Art. 6 EGBGB nicht aus, denn Art. 8 Abs. 3 Satz 2 des Abkommens erlaubt es dem anderen vertragsschließenden Staat, die Anwendung der Gesetze des Vertragspartners ausnahmsweise und nur insoweit auszuschließen, als ein solcher Ausschluss allgemein gegenüber jedem anderen Staat erfolgt (OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 732/734; OLG Hamm FamRZ 1993, 111/114).
Die Anwendung der Vorbehaltsklausel des Art. 6 EGBGB setzt voraus, dass nicht nur abstrakt die ausländische Regelung selbst, sondern das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts im konkreten Fall in so starkem Widerspruch zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint (BGHZ 118, 312/330; KG NJW-RR 2008, 1109/1111). Darüber hinaus muss der zu beurteilende Tatbestand einen hinreichenden Inlandsbezug aufweisen; die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte genügt dafür nicht (Palandt/Thorn BGB 71. Auflage 2012, Art. 6 EGBGB Rn. 5, 6 m.w.N.).
b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beteiligte zu 1 erhält als Ehefrau des Erblassers eine Erbquote von einem Viertel, während ein Ehemann bei gleichem Sachverhalt eine Erbquote in Höhe der Hälfte des Nachlasses beanspruchen kann. Das ist nicht vereinbar mit dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz, dass niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt werden darf (ebenso OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 732/733; Staudinger/Dörner BGB <2007> Anh zu Art. 25f EGBGB Rn. 327; aA noch OLG Hamm FamRZ 1993,111/114f).
Es besteht zudem ein stark ausgeprägter Inlandsbezug. Der Erblasser hat seit über 40 Jahren in Deutschland gelebt. Die Beteiligte zu 1 ist in Deutschland geboren und hat – abgesehen von der Ehe mit dem Erblasser – keine familiären Verbindungen zum Iran. Beide Ehegatten hatten während ihrer gesamten Ehezeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Das Vermögen des Erblassers besteht aus Bankguthaben bei deutschen Banken und seinem Anteil bzw. dem Abfindungsanspruch an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in München.
Es kann auch nicht angenommen werden, dass es nach dem Willen des Erblassers bei der Erbquote von einem Viertel für die Ehefrau verbleiben sollte. Vielmehr hat der Erblasser mit dem gemeinschaftlichen Testament vom 27.11.1996 deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er seinen Nachlass allein seiner Ehefrau zukommen lassen wollte.
c) Greift die Vorbehaltsklausel des Art. 6 EGBGB ein, ist grundsätzlich zunächst eine Lösung im fremden Recht zu suchen; deutsches Recht ist nur hilfsweise als Ersatzrecht anzuwenden (KG NJW-RR 2008, 1109/1111). Es erscheint sachgerecht, an Stelle der gleichheitswidrigen Bestimmung über den Erbteil der Witwe die Vorschrift des iranischen ZGB anzuwenden, die bei gleicher Sachverhaltsgestaltung die Erbquote des Witwers regelt, nämlich Art. 899 Nr. 1 ZGB, wonach der überlebende Ehegatte die Hälfte des Nachlasses erhält (ebenso OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 732/734; Schotten ZEV 2009, 193; Dörner IPrax 1994, 33/37).
Entgegen der Ansicht des Nachlassgerichts erübrigt sich die Korrektur der gleichheitswidrigen Vorschriften des iranischen Erbrechts nicht etwa deshalb, weil die Ehefrau mit Zubilligung des pauschalierten Zugewinnausgleichs nach § 1371 Abs. 1 BGB die Erbquote von 1/2 erreicht, die das iranische Erbrecht dem Ehemann zuspricht. Wie die Beschwerde zu Recht hervorhebt, stünde dem Mann bei gleicher Sachverhaltsgestaltung von vornherein eine doppelt so hohe Erbquote zu, so dass sich sein Anteil am Nachlass mit dem pauschalierten Zugewinnausgleich auf drei Viertel belaufen würde. Die erbrechtliche Ungleichbehandlung wird somit durch güterrechtliche Erhöhung des Erbteils nicht ausgeglichen (so auch Dörner IPrax 1994, 33/37; a.A. OLG Hamm FamRZ 1993, 111/115).
3. Die im Erbschein auszuweisende quotale Beteiligung der Beteiligten zu 1 am Nachlass des Erblassers erhöht sich nach § 1371 Abs. 1 BGB um ein Viertel, beträgt also insgesamt drei Viertel, weil die Ehegatten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben. Aus der Anwendung iranischen Erbrechts und deutschen Güterrechts ergibt sich hier kein Normenwiderspruch.
a) Nach inzwischen herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, ist die Vorschrift des § 1371 Abs. 1 BGB güterrechtlich zu qualifizieren (vgl. Palandt/Thorn EGBGB Art. 15 Rn. 26 m.w.N.; Staudinger/Mankowski BGB <2010> Art. 15 EGBGB Rn. 341 m.w.N. und ausführlicher Darstellung des Meinungsstandes). Das hat zur Folge, dass sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten grundsätzlich auch dann um 1/4 erhöhen kann, wenn die Erbfolge ausländischem Recht unterliegt. Güterstatut ist hier nach Art. 220 Abs. 3 Satz 2 und 3, 15 Abs. 1 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB deutsches Recht. Nachdem der Erblasser und die Beteiligte zu 1 keinen Ehevertrag geschlossen hatten, galt in ihrer Ehe der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§ 1363 Abs. 1 BGB).
b) Der pauschalen Erhöhung der Erbquote nach deutschem Güterrecht steht hier nicht deren Unvereinbarkeit mit den anzuwendenden Vorschriften des ausländischen Erbrechts entgegen. Aus der Kombination des iranischen Erbrechts mit dem deutschen Güterrecht ergibt sich keine höhere Erbquote für die Beteiligte zu 1, als ihr bei Anwendung einer der beiden Rechtsordnungen für Güter- und Erbrecht zukäme, denn bei ausschließlicher Anwendung deutschen Rechts würde die Erbquote der Ehefrau ebenfalls 3/4 betragen. Dass ihr bei ausschließlicher Anwendung iranischen Rechts – das von Gütertrennung ausgeht – insgesamt eine geringere Beteiligung am Nachlass ihres Ehemannes zustünde, hindert die Anwendung des § 1371 Abs. 1 BGB nicht, denn das ist regelmäßig die Folge des Zusammentreffens dieser Vorschrift des deutschen Güterrechts mit einem ausländischen Erbrecht, das dem Ehegatten eine dem deutschen Erbrecht entsprechende oder niedrigere Erbquote einräumt (vgl.Schotten ZEV 2009, 193/194; Looschelders IPrax 2009, 505/509; Dörner IPrax 1994, 33/34; a.A. OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 732/734). Es
Wie im Einzelfall ein Normenwiderspruch zwischen einem ausländischen Erbrecht und dem deutschen Güterrecht zu lösen ist, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. OLG Frankfurt ZEV 2010, 253 zum schwedischen Erbrecht; OLG Stuttgart NJW-RR 2005, 740 zum österreichischem Erbrecht; Clausnitzer FGPrax 2005, 169; Ludwig DNotZ 2005, 586).
4. Die Entscheidung des Nachlassgerichts ist deshalb aufzuheben. Es wird ein Erbschein zu erteilen sein, der die Beteiligte zu 1 als Miterbin zu 3/4 ausweist. Bisher ist allerdings noch kein Erbscheinsantrag gestellt, der auch die Erbquoten der Geschwister des Erblassers beziffert, so dass der Senat keine Anweisung zur Erteilung des der Erbrechtslage entsprechenden Erbscheins aussprechen kann.
III.
1. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gerichtskosten für die erfolgreiche Beschwerde fallen nicht an. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten erscheint es angemessen, dass diese die Beteiligten jeweils selbst tragen.
2. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 131 Abs. 4, § 30 Abs. 1 KostO. Er entspricht 1/4 des Nachlasswertes.
3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 70 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 FamFG), denn das Oberlandesgericht Düsseldorf lehnt die Anwendung des § 1371 Abs. 1 BGB ab, wenn sich die Erbfolge nach iranischem Recht richtet und die Erbquote der Ehefrau nach § 6 EGBGB korrigiert wird.